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Was ist Literatur?

28.05.2025 Allgemein Keine Kommentare

 

 

Rose & Dunkelheit

 

 Kürzlich stellte mir jemand die Frage: «Was ist eigentlich Literatur?» Meine spontane Antwort war: «Das weiss ich nicht!» Im Austausch mit anderen Menschen, nach meinen Lesungen beispielsweise, klingen manche Gespräche oder Fragen nach, so auch nach jener Lesung von «Bonsai».

Als ich später allein war, dachte etwas in mir weiter: «Literatur – das ist doch mittlerweile nicht mehr als eine Reihe von Produkten für den engen und schnelllebigen Literatur-Markt. Aber: Gehen die vielen Bücher der letzten hundert Jahre nicht alle auf unsere tiefen Wünsche zurück, unser Leben zu erzählen, uns dabei zu verorten und zu versichern?» Dann kamen Zweifel: «Wer für diesen Literatur-Markt schreibt, macht Literatur, oder ist da nicht noch mehr? Wird damit nicht unsere gemeinsame Kultur verändert, immer wieder umgeschrieben – oder eben auch nicht? Haben die einfachen Narrative von Gut und Böse gesiegt?»

«Mit dem Herzen schreiben ist mir wichtig – aber das reicht noch nicht für Literatur.»

«Je einfacher eine Geschichte erzählt wird, um so mainstreammässiger ist sie. Wenn eine Geschichte sich weigert, einem klaren Kurs zu folgen, wird es schon Arthouse und es gibt wahrscheinlich weniger Besucher. Und wenn sie määandert, episodenhaft erzählt wird, dann sind die Besucher schnell im dreistelligen Bereich», sagte Dorris Dörrie in einem Interview in DIE ZEIT Nr. 20/15. Mai 2025. Auch wenn sich die deutsche Autorin und Filmemacherin hier beim Erzählen eher auf das Filmemachen bezieht, so ist es doch beim Schreiben einer Geschichte ganz ähnlich, auch was die vorhersehbare Erfolgskurve auf dem Literatur-Markt betrifft.

Wer auf diesem Markt erfolgreich verkaufen will, also auch rezensiert und gelesen werden will, folgt, zumindest bisher, am besten einer momentan gut nachvollziehbaren Art des Erzählens. Klar ersichtlich ist das  in den Computerprogrammen, mit denen seit Jahren Bestseller-Krimis geschrieben werden. Ist das dann auch Literatur?

Es ist erst seit relativ kurzer Zeit, dass wir Menschen Literatur (in deutscher Sprache) haben. Erste Aufzeichnungen epischer Heldenlieder in Versform im deutschen Sprachraum gab es circa im neunten Jahrhundert n.Ch., am Hof Karls des Grossen. In Wikipedia bin ich auf die sogenannten «Merseburger Zaubersprüche» gestossen, die in einem Gebetsbuch versteckt im 19. Jahrhundert in einer Kirche gefunden worden waren. Sie sind Hinweis darauf, wie viel uns an «Literatur» verloren gegangen ist, das nicht-Erwünschte, etwa das «Heidnische» und das nicht in Bibliotheken gesammelte.

Wenige hundert Jahre erst kann ein Grossteil der Europäer lesen und schreiben. Kurz im Vergleich zu der Million Jahren unserer Menschen-Existenz lebt diese «Literatur». Jedoch: Erzählen, singen, die Welt neu erschaffen, etwas mitteilen. Wie lange machen wir Menschen das schon?

Ein Kapitel in meinem kürzlich erschienenen Roman «Freundschaft Genossin» beschäftigt sich mit verlorenen Liedern, Jagdmagie und Tänzen – und mit dem unsichtbaren Aspekt des Erzählens. Es beginnt auf Seite 94, ist Noras Beitrag zum ‘Lebenden Theater’ und heisst: «Unsichtbares Weben».

 

Ich möchte dieses ungewöhnliche Buch allen empfehlen, die ungezähmte «Literatur» erleben wollen. Es ist mir sehr bewusst, was ich beim Schreiben meiner Bücher mache.

28.05.2025

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