IN DER ÖFFENTLICHKEIT – DER PILGERWEG HEIM
Im Mai hatte ich nur zwei Lesungen geplant. Der Monatsplan ist randvoll mit anderen beruflichen Verpflichtungen. Deshalb die Zurückhaltung. In Steinhausen im Kanton Zug gibt es ein riesiges Einkaufszentrum, das einer schweizer Supermarkt-Kette gehört. „Toll“, dachte ich, als mir zwei Termine für Lesungen dort, in einer Art Kulturforum, angeboten wurden. Am Samstag war es soweit. Am Vormittag fuhr ich mit dem Auto quer durch die Deutschschweiz. Es war schwierig, einen Parkplatz in einem der drei, an die Einkaufszone angebauten Parkhäuser zu finden. So viele Menschen in Autos waren dort unterwegs! Auf zum Kauf! Ein Einkaufszentrum voll mit potentiellen Lesern und Zuhörern meiner Geschichte – phantastisch.
Den Ort für die Lesung konnte ich zuerst nicht finden. Es gab keinerlei Hinweis-Schilder. Nachdem ich auf einem Förderband durch zwei Etagen mit Geschäften gefahren war, und überall so viele Menschen unterwegs waren, aber kein Kulturforum zu sehen war, fragte ich schliesslich in einer Buchhandlung nach. Ich solle den Zeichen Richtung Toiletten folgen. Gleich im Seitengang um die Ecke wurde ich fündig: grosse Glasschiebetüren gaben den Blick frei in einen grossen Raum, sachlich, hell, wohlproportioniert, ohne Fenster. Bilder hingen an den Stellwänden und an der Wand – das muss der Kulturraum sein. Und so war es. Gleich gegenüber von der öffentlichen Toilette und dem Ausgang in eines der Parkhäuser bog ich in den hellen Raum ab. Ein Tisch mit Wasserglas und Stuhl, und auch Sitzplätze für Zuhörer waren bereits vorbereitet. Man hiess mich willkommen.
Ich mache es kurz: niemand von den unendlich vielen Menschen, die sich im Einkaufszentrum vergnügten, fand den Weg in den „Kulturraum“. Ich las, fast allein, vor kleinstem Publikum, hinter Glas, wie in einem Aquarium, umspült von den Wogen des Konsums. Das ist auch eine Erfahrung, sage ich mir, wenn mir sowas passiert.
11.05.2015