Wenn die Worte ausbleiben
Ein Tagebuch zu führen kann unterstützend und reinigend wirken, besonder natürlich in schwierigen Momenten. Wir befinden uns kollektiv mit der sogannten Corona-Krise in unsicheren Zeiten. Doch was tun, wenn frau, umgeben von ungewöhnlichen Ereignissen, einfach verstummt? Keine Lust auf Tagebuch-Eintrag? Die täglich neu versuchte und anstrengende Anpassung an neuartige und unbekannte Lebensumstände – individuell wie kollektiv – können wie ein schwankender Boden erlebt werden, anstrengend und furchterregend. «Dazu fällt mir nichts mehr ein!», sagte mir kürzlich eine ehemalige Kursteilnehmerin.
Was tun also, wenn die Worte fehlen, wenn die Inspiration oder auch die Motivation Tagebuch zu schreiben auf Grund gelaufen ist?
Wie kann man dann weiterhin ein Tagebuch führen?
Für das Reisetagebuch gibt es dafür eine gute Methode, die wir vielleicht auf dieser seltsamen Corona-Reise auch anwenden können. Was tun, wenn frau auf einer Asienreise überwältigt und überfordert abends in einem zu kalten Zimmer Tagebucheinträge über die Kulturschocks des vergangenen Tages machen will, aber kein brauchbarer Satz auftaucht? In diesem Fall ist es hilfreich, nur die wenigen Wörter, die freiwillig auftauchen, aufschreiben, das schönste Erlebnis, oder einfach, was ich gegessen haben. Vielleicht ist auf diese Weise das eigene Erleben an diesem Tag am würdigsten ausgedrückt? Andere Möglichkeit ist, in ein kleines Notizbuch oder ins Handy Sätze und Ideen genau dann aufzuschreiben oder aufzusprechen, wenn sie gerade auftauchen, unverzüglich.
Oder ganz anders: Vielleicht macht es in solchen Situationen mehr Freude, Dinge ins Tagebuch kleben: Zettel, Fotos, Schnur, Pflanzensamen, Zeitungsfotos, Drucksachen in fremder Sprache und Schrift, Bahntickets, was immer an dem Tag wichtig war. Es sind diese mit Gefühlen und Erinnerung aufgeladenen Gegenstände, die wenigen Worte, die noch fallen können, die uns wieder mit uns selbst verbinden. Auch die Träume der Nacht aufzuschreiben, kann hilfreich sein.
Für diese wortkargen Tage habe ich immer einige Farbstifte zur Hand, denn ich zeichne gerne. Natürlich können es auch Fotos, mit dem Handy aufgenommen, wie Skizzen, oder Wasserfarben, Ölkreiden und Bleistifte sein. So können Bilder, Symbole oder Buchstaben auftauchen, unerwartet. Wichtig ist es, dabei klar vor Augen zu haben, worum es geht. Und das ist, die kreative, die auf die Welt antwortende Seite unserer Persönlichkeit weiterhin zu nähren und zu stärken.
Anregung der Woche: Führe dein Tagebuch einen oder mehrere Tage lang, wie oben beschrieben, mit Gegenständen. Natürlich darf auch das eine oder andere Wort dazwischen gestreut sein. Falls die Gegenstände zu sperrig sind, kann ein grosses Zeichenblatt oder ein Stück Karton die Rolle der Tagebuch-Seite übernehmen. Viel Freude beim Versuch, ein wortkarges Tagebuch zu führen.
15.05.2020