Annäherung an einen Baum
Die Linde
Bei der Heimkehr von einem Spaziergang. An einem frühen Sonntagmorgen im Juli. Hinter mir ging gerade die Sonne auf, wie aus dem Wald hervortauchend. Als ich unter der blühenden Linde zu unserem Hof ging hörte ich im Vorbeigehen über mir ein webendes Summen. Es war ungewöhnlich, stark und schien überall zu sein. Ich blieb stehen, blinzelte in die Sonne und lauschte. Es waren unzählige Bienen – ein Bienenlied – überall. Ich schaute hinauf und blickte in eine Welt, die ich nicht betrete, obwohl sie so nahe ist: Die Baumkrone unserer alten Linde. Sie hat einen dicken Stamm und auch die Äste sind bis hoch hinauf – vielleicht zwanzig Meter über mir? – noch so stark wie Baumstämme.
Die Bienen, der Duft der Blüten, der schon die ganze Nacht hindurch ins Haus gedrungen war, der Boden auf dem ich stand – alles war diese eine Linde in einem Moment. Nicht einfach ein botanisches Ereignis, sondern mehr, ein durchscheinendes und mich durchdringendes System „Natur“.
Die Bewegung der Bienen klang wie ein Chor; nicht menschlich. Der Duft der tausenden von Lindenblüten war in mich eingedrungen; nicht nur durch die Atemwege.
Lange blieb ich unter den weit ausladenden Ästen stehen. Ich versuchte diesen Klang der – meist unsichtbaren – Bienen mit meinem Handy aufzunehmen.
Doch blieb mir später nur die Erinnerung an das Linden-Dasein, außergewöhnliches starkes tierisches pflanzliches liebliches wildes.
An diesem Tag begann ich diese Linde, diesen einen uralten Baum, in meinem Tagebuch zu beschreiben. Titel: Annäherung an einen Baum.
09.07.2018