Ist Tagebuch-Schreiben modern?
Wenn ich erzähle, dass ich begonnen habe Kurse zum Tagebuch-Schreiben zu geben, erfahre ich meist zwei Arten von Reaktion: 1. „Tagebuch schreibe ich schon immer. Das muss man doch nicht lernen!“ 2. „Tagebuch – in Zeiten der social media, wo ich mich dauernd beschreibe?“ Beide Reaktionen gehen knapp an dem vorbei, was ich mit meinen Kursen bezwecke. Ich ziele an die Wurzel des Menschseins, auf unsere archaische Seite.
„Wer bin ich? Wohin führt mein Weg? Wie stehe ich in der Welt?“ Unser Bedürfnis autobiografisch zu erzählen entspringt einem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Verortung und Zugehörigkeit. Sich diesen Fragen ehrlich zu stellen ist der Beginn einer fruchtbaren Beziehung zur eigenen – vielleicht verschütteten – Kreativität. Einmal entdeckt und gefördert, wird sie zu einer neuen Lebensader im Strom des alltäglichen Lebens.
In den Tagebuch-Kursen versuche ich eine Lebens- und Schreibhaltung zu vermitteln, die angstfrei mit dem eigenen Blendwerk umgeht. Mehr als bloße Schreib- oder Kreativitätsrechniken unterrichte ich eine Lebenshaltung, die in sich ruhend, sich selbst reflektieren kann und darf. Der Kurs ist ein Impuls, ein Anfang, um unseren Alltag, oder schwierige Kapitel unseres Lebens, authentisch und meditativ zu betrachten und zu beschreiben. So kann das Schwierige zur Kraftquelle werden. Im spielerischen Aufschreiben wird das eigene Sein nachhaltig erlebt und angenommen.
Bringe den Atem, den Körper, das Erinnern, unseren sprunghaften Geist und unser ganzes Wohlsein in den gegenwärtigen Moment. Geschrieben wird das, was ist, jetzt:
Tagebuch-Notiz: Am Ende der Nacht – ein Tag. Nach dem Regen – Sonnenlicht. Ein spätes Frühstück in der Küche. Offenes Fenster – Meise, Zaunkönig, Amsel.
17.04.2019