Mohnblumenzeit
Worum geht es in meinen Blog-Beiträgen? An dieser Stelle stand bisher oberhalb oder unterhalb des Haupttextes eine kurze Beschreibung: «Meine BLOG-Beiträge sind seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet.» Seit einigen Tagen befinde ich mich in die Endphase der Arbeit an diesem Text. Wenige Blog-Beiträge zu diesem Buch wird es noch geben. Ist der Text fertig, beginnt eine neue Zeit für mich. Der letzte Teil der Trilogie wird dann abgeschlossen sein.
Die Mohnblüten in unserem Gemüsegarten weisen mir den Weg. Ich schreibe: «Es ist ein Tag in der Mohnblumenzeit.» Mit diesem Satz beschreibt die fiktive Autorin den Tag, an dem sie damit beginnt, die zerborstenen Kulissen des kleinen Welttheaters am Grünen See wieder zusammenzudichten.
Die Arbeit am dritten Band der Trilogie dauert nun bereits zweieinhalb Jahre, so lange ungefähr erzähle ich auch in diesem BLOG über das Projekt «Freundschaft Genossin!» Ich wollte in diesen BLOG-Beiträgen die Arbeit einer Autorin, also von mir, für die LeserInnen und für Schreib-Interessierte greifbarer machen.
«Ich will den Text endlich abschliessen!» Immer öfter in den letzten Monaten wartete ich beinahe schon ungeduldig, dass das Ende sich zeigen würde. Die Geschichten, welche die ProtagonistInnen einander im Gemüsegarten unterhalb des Seehotels erzählten, waren alle aufgeschrieben. Mit dem einen, dem zu vielten, Krieg in Europa, und den vorhergegangen, sich über Jahre hinziehenden Social-Media-Manipulationen haben sie ihre Unschuld verloren. Es hatte mir einige Tage die Sprache verschlagen.
Beinahe zufällig kamen die Rhinozerosse ins Geschehen! Sie erschienen gleichzeitig mit der heftigen Ernüchterung der Autorin: Wie kann ich in Zeiten, wo Lüge und Wahrheit verwoben erscheinen, in einer glitschigen Symbiose vereint, als unwirklich schillernde Neugeburten von schrecklichen Welten in Erscheinung tretend – wie kann ich in diesen Zeiten eine «eindeutige» Geschichte erzählen wollen?
Die Kulissen am Grünen See waren definitiv zerrissen. Sollte ich aufgeben?
Kurze Zeit später trieb eine Autorin in einem alten Boot auf dem Grünen See. «Ich sitze in dem Boot, das sonst meine ProtagonistInnen benutzen», schrieb sie, «Ich schaue zur Felswand hinüber. Alles scheint äusserlich so wie immer zu sein.»
Die surrealen Ereignisse, die zur Zerstörung des kleinen Welttheaters am kleinen See und fast aller Kulissen geführt hatten, konnte sie nur ahnen – und dokumentieren.
Damit begann im Mai 2022 eine neue Version von «Freundschaft Genossin». Eine fiktive Autorin der Geschichten meldet sich zu Wort. Sie mischt sich, sichtbar und hörbar geworden, in ihre Geschichte ein. Sie erzählt davon, wie es war, als die Rhinozerosse aus dem Wald kamen und wie es ist, Geschichten zurückerobern zu müssen, die bereits geschrieben waren. (Mehr zum Erscheinen der Nashörner kann in den beiden vorhergehenden BLOG-Beiträgen nachgelesen werden.) Eine ihrer Fragen steht am Anfang: «Wird es später noch Geschichten geben?»
Ich stellte in der Folge noch weitere Fragen: «Werden sich, in dieser Zeit surrealer Sprachfische aus dem Internet, überhaupt noch Geschichten zeigen? Oder werden sie sich vor uns Menschen verbergen, so wie es bereits die Drachen, die Weisen und die Liebenden tun?»
Eine weitere Frage, der ich begonnen hatte nachzugehen, tauchte auf als ich in meinem Arbeitstagebuch vom April blättere und mehrere Zeichnungen von Einhörnern und Rhinozerossen fand. Einem dieser Mischwesen hatte ich Flügel gezeichnet und daneben geschrieben:
«Sind geflügelte Rhinozerosse Komiker?»
Wenig später tauchte dann für mich die Antwort auf, als ich an einem Nachmittag ganz ohne Absicht in einem bequemen Liegestuhl im Halbschatten lag und in den blauen Himmel hinaufschaute: «Ja, sie könnten Komiker sein, – anarchisch-zerstörerisch-unschuldig auf die Geschichten einwirken, ein bisschen wie die Marx Brothers.» Ich sah in der Erinnerung einige Szenen von Filmen, die ich vor vielen Jahren mit viel Aufmerksamkeit und mehr als einmal angesehen hatte.
Die fliegenden Nashörner könnten das Element der Zerstörung und Ausrottung poetisch-clownesk transformieren und so das Erscheinen jener neuen Welt vorbereiten, von dem meine jugendlichen ProtagonistInnen sagen, es könnte «die schönere Welt sein, die mein Herz kennt».
Und: Vielleicht könnten sie wirklich fliegen!?
10.06.2022