Blog

Archiv:

Weit geöffnet

21.04.2025 Allgemein Keine Kommentare

 

 

 

 

Im vergangenen Winter war ich für einige Wochen in Kathmandu. Die rasant gewachsene Stadt liegt in einem Hochtal in den Vorgebirgen des Himalaya, in Nepal.

1993 reiste ich für ein Videoprojekt, allein, zum ersten Mal dorthin, mit Lufthansa, einem Direktflug Frankfurt/Main – Kathmandu, den es schon lange nicht mehr gibt. Zwölf Stunden dauerte dieser Teil der Reise damals. Nach dem Nachtflug kreiste das Flugzeug mindestens eine halbe Stunde über dem Himalaya, in Erwartung, dass der Nebel im Tal sich lichten würde. Der Blick auf die Bergketten im Morgenlicht blieb unvergesslich. Man landete damals hier nicht ohne Sicht – es war November.

Nachdem wir schliesslich auf dem kleinen Flughafen im Kathmandu Tal ankamen und die Visaformalitäten erledigt waren, stieg ich  in ein  Taxi. Der Fahrer, den mir das Hotel gesendet hatte, war freundlich, das verbeulte Auto hatte nur teilweise Fensterscheiben. Ich war bereits eine Stunde nach meiner Ankunft so schockiert von dem, was ich auf dem Flughafen, auf der Strasse und an den Strassenrändern sah, dass ich eigentlich gerne wieder zum Flughafen gefahren wäre, um den nächsten Flug zurück zu nehmen. Dieser Kulturschock der Europäerin in ihren Dreissigern, vor allem über das Elend der einfachen Menschen, war heftig. Bereits am Nachmittag war ich neugierig, glücklich über die Farben der Stadt und die vielen neuen Eindrücke allein und zu Fuss unterwegs. Ich traf irgendwann auf einen kurzen Leichenzug. Ein weiss eingewickelter Körper wurde zum Fluss hinuntergetragen. Einige wenige, sehr dünne Menschen, nur in Tücher gewickelt, ausgemergelt und weinend folgten. Erst später verstand ich: Der Weg führte hinunter zu den Verbrennungsstätten der Verstorbenen.

Im Winter 2025 war ich mit meinem Mann Peter wiedergekommen, um einige Wochen  Einkehr zu halten, aber auch, um verschiedene Orte zu erforschen und mich von dieser südasiatischen Berg-Welt für neue Projekte inspirieren zu lassen. Diesmal, zweiunddreissig Jahre nach meinem ersten Aufenthalt, ging ich an einem der ersten Morgen nach der Ankunft, wieder allein, in den nahen Vajra-Yogini Tempel, der sich in der Nähe des Hotels befindet, wo wir wohnten. Offen, verzaubert von dem gelben Licht, in das die aufgehende Sonne den Smog und die Häuser tauchte, ging ich die Strasse entlang. Als wäre es das erste Mal, bog ich auf einen Weg ab, stieg langsam einige Stufen hinauf, betrat den seit Jahrhunderten bestehenden Tempelhof. Dort wurde ich Teil des geschäftigen Kommens und Gehens der Bewohner, die hier ihre Morgengebete verrichteten, Opfergaben darbrachten, gekochten Reis, auch frische Blumen, gelbe und orangefarbene Tagetes.

Ich hatte genug Raum hier, um in einer Ecke des Hofes zu sitzen, zu schweigen, meditierend einfach nur da zu sein. Allen Menschen in der westlichen Welt wünsche ich solche Momente respektvoller Einkehr in der Fremde, einfaches Bezeugen des Tages, der Welt, wie sie eben erscheint. Sie können den Lauf des Lebens verändern.

Beim Weggehen stand die alte Tempeltüre weit offen.

Die Inspiration für diesen Blogbeitrag verdanke ich der Lebensfreude und der Freundlichkeit in unsicheren Zeiten, die ich von den Menschen in Kathmandu, trotz ihrer teils schwierigen Lebensumstände, geschenkt bekommen habe. 

Erzählen auf dem Wind

02.09.2021 Allgemein Keine Kommentare

Erzählen auf dem Wind

Stille – wie drücke ich Stille aus – im Erzählen mit Worten?

Wie im vorhergehenden Blogbeitrag über die Entstehung des neuen Romans «freundschaft genossin», versuche ich auch hier zu beschreiben, wie ich  mich im Erzählen einer Geschichte übe. Eine Geschichte schreiben will ich, so leicht, wie auf eine Brise Wind gesprochen .

Im «Maiskorn» erzählt «die neue Frau» Nora eine Verflechtung von Geschichten aus der Vergangenheit. Die Vergangenheit kommt dadurch nicht zurück. Aus unserer Vergangenheit sind uns vage Bilder geblieben, Gesichter längst Verstorbener, Eindrücke, Gerüche, Kinder. Alles wird erzählt. Ich bin die Erzählerin, die erzählt, wie jemand anderer erzählt, was ich erzählen möchte. Bilder verweilen kurz, innerlich in Schwebe, auch Klangbilder, während die Protagonisten jeder einzelnen Geschichte von «freundschaft genossin» ihr Erzählen fortsetzen und immer wieder alles ins Leben rufen. Sie erzählen einander die Welt, eine bessere Welt, eine alte Welt, eine stille oder eine laute Welt.

Kaum je befinden sie sich dabei in der Gegenwart. Ist es ihr Abschweifen in die Vergangenheit, das die Welt nicht neu erschafft? Kann eine neue Art des Erzählers die Welt verändern?

Die Erzählenden im Kapitel «Maiskorn», lauschen gelegentlich, innehaltend im Fluss der Wörter, so wie ich jetzt: hinhören auf die leisen Töne, etwa wie der Wind im Gelb der Maisblüten klingt, die Melodie der Pappeln am Bach, das langsame Schwinden der Grillengesänge im September, eine Fremdsprache, und wieder ein Flugzeug hoch am Himmel.

Um diese Spannung der Stille im Worteflechten halten zu können, tut es mir manchmal gut, einfach wegzugehen. Ich nehme mir einen halben Tag frei.

Kreativität will immer wieder genährt sein. Ich fahre an einem Nachmittag vom Bauernland weg, spontan und planlos, an einen Ort, der mich inspiriert – ich fahre «in die Stadt». Diesmal ist es, wieder einmal, das Rietberg Museum in Zürich, wo ich lande.

 

 

 

 

Eine alte chinesiche Holzfigur, grösser als ich selbst.

Die Bronze-Statuen aus dem Himalaya-Raum, bis ins 8. Jahrhundert zurückdatiert, strahlende Stille.

 

 

Ich verliere mich im Tanz  der alten Tonfiguren,

tanze  mich durch tausende von Jahren, durch mich, in die Welt.

 

BLOG ZUM BUCH: «freundschaft genossin» ist ein neuer Roman, an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über das Arbeiten am Text.