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Klangwelten – Sprachwelten

04.08.2025 Allgemein Keine Kommentare

Der vorhergegangene BLOGBEITRAG endet so:

Wenige hundert Jahre erst kann ein Grossteil der Europäer lesen und schreiben. Kurz im Vergleich zu der Million Jahren unserer Menschen-Existenz lebt diese «Literatur». Jedoch: Erzählen, singen, die Welt neu erschaffen, etwas mitteilen. Wie lange machen wir Menschen das schon? Ein Kapitel in meinem kürzlich erschienenen Roman «Freundschaft Genossin» beschäftigt sich mit verlorenen Liedern, Jagdmagie und Tänzen – und mit dem unsichtbaren Aspekt des Erzählens. Es beginnt auf Seite 94, ist Noras Beitrag zum ‘Lebenden Theater’ und heisst: «Unsichtbares Weben».

 

Dieser neue  BLOGBEITRAG setzt fort mit einem Auszug aus jenem Kapitel «Unsichtbares Weben»:

(Seite 96) «Das Theaterstück, genannt ‘Unsichtbares Weben’ kann beginnen», ruft Noras Stimme aus den Lautsprechern. Die Schauspielerin erscheint auf einem Fels-Vorsprung, der etwa zwei Meter höher liegt als die Lichtung und wie ein natürlicher Balkon aussieht.

Sie schaut auf die Wiese hinunter. Dann wendet sie sich der Figur aus feinmaschigem Drahtgitter zu, die neben ihr am Rand des Balkons sitzt. Die lebensgroße Figur erscheint weiblich, hat menschliche Formen. Dort, wo das Drahtgerüst nicht mit Lehm überzogen oder bekleidet ist, kann man teilweise durch das geformte Gitter durchblicken. Die großen Hände und Füsse, die Knie und der Kopf sind aus Tonerde, die das Gestell teilweise überzieht. Vielfarbig glitzernder Stoff deutet ein Kleid an, das den Oberkörper und die Schenkel der Figur bedeckt. Das aus Ton grob geformte Gesicht ähnelt einer archaischen Maske. Sie ist sparsam mit Farbe bemalt, hat große Augen. Der Mund der Figur ist leicht geöffnet, die Lippen sind rot. Lockiges Haar umrahmt das Gesicht, es sieht aus wie eine dunkle Perücke. Silvia und Nora haben mit wenig Material eine magische Figur geschaffen, die in diesem Moment auf die Wiese hinunterzublicken scheint.

Nora trägt einen anliegenden schwarzen Overall, das halblange graublonde Haar ist hochgesteckt. Ohrringe mit Bergkristallen als Anhänger blitzen im Abendlicht. An die Zuschauer gewendet beginnt die Schauspielerin zu sprechen: «’Unsichtbares Weben’ heisst dieses Theaterstück. Darin will ich die Spurlosigkeit der gesprochenen Sprache und die Unsichtbarkeit vergangener Gesänge erforschen. Verschwunden sind die Lieder der Menschen, die vor tausenden Jahren rund um diesen See und in den Bergtälern lebten. Verschwunden sind auch die Worte derjenigen, die unten auf Booten über das Wasser fuhren. Tausende Jahre von Klängen – ich kann sie nicht mehr hören und ich kann sie auch nicht zurückholen.»

(Seite 98 – 100)

Nora, die Figurenspielerin, bewegt jetzt vorsichtig den langen Stock und damit den Kopf der Klangweberin. Langsam heben sich dabei auch deren Hände. Aus dem Lautsprecher klingt Noras klanglich veränderte Stimme, während sich weiterhin der Kopf ihrer Figur bewegt, als würde diese sprechen. «Wisst ihr, wie Bäume klingen, dass die Gräser helle Töne ausstrahlen, dass das Schweigen einer Fledermaus laut ist? Versteht ihr die Sprache einer Katze, eines Panthers? Könnt ihr die Spuren der gesprochenen Sprache auf diesem Planeten lesen? Wisst ihr, wie die letzten Urwälder klingen, oder das Polareis? Kennt ihr  die Musik der Ozeane, die Harmonie eines Fischschwarms? Wisst ihr, dass Steppen atmen, bevor sie ihre kleinen Schreie loslassen? Hört ihr den Wolkenklang, bevor der Regen fällt?

Menschen, ihr kennt eure Stimmen und die Klänge einiger Dinge, doch diese große Welt, deren Teil ihr seid, klingt vielgesichtig. Ihr hört sie kaum. Sprechen, singen, die Frösche im Weiher, Flügelschläge im Wald, der Sturm in der Schlucht, ein Haus, jeder Menschenkörper, alles, was lebt, erzeugt Klangwellen. Ich kann sie sehen, mich an ihnen erfreuen. Wenn ich will, kann ich einige davon ernten und weben. Manchmal spinne ich vielfarbige, lockere und strahlende Klangstränge, andere sind flach, dünn oder beinahe fest. Die Musik der Städte ist oft unbrauchbar für Klangweberei. Immer wieder sind Geräusche nur noch als farblose Teilstücke. Manchmal webe ich bereits im Entstehen zerfallende Satelliten-Melodien. Es ist nicht nur wegen des Menschenlärms, der sich bis hinauf in die Stratosphäre ausbreitet. Die Farbpalette der Erd-Klänge selbst scheint plötzlich verarmt.

In diesem kurzen Stück Zeit hier an der Felswand wollen wir gemeinsam Klang-Energie erleben – einen kurzen Atemzug im Klanguniversum eurer Menschheitsgeschichte. Vielleicht kann ich später daraus etwas für euch Theatermenschen im Lebendigen Theater weben.

Stille ist ein guter Faden für das Klangweben. Gute Stille ist selten geworden. In diesem Moment, jetzt, sprechen, schreien, singen oder flüstern wahrscheinlich gleichzeitig Milliarden von Menschen auf diesem Planeten. Das Lied der Erde selbst war schon immer ein flüchtiges Gewebe. Auf der Suche nach stabilen Webstücken verband ich Menschenklänge, Maschinenlärm, Flussklänge, Regentropfen und Waldgesang – nichts blieb je bestehen.»

Laut und theatralisch klingt Noras Stimme als die Stimme der Klangweberin aus den Lautsprechern. Im mobilen Tonstudio mit einem zarten Echo versehen und leicht verzerrt, streift sie über die Waldwiese. Die Stimme der Berufsschauspielerin ergreift den Raum zwischen Felswand und Hochwald, hallt die viele Millionen Jahre alten Bergwände hinauf. Das Lebendige Theater hat eine neue Wende genommen.

Erstes Abendlicht beleuchtet rötlich den Felsenbalkon, auf dem Nora neben ihrer Theaterpuppe steht und nun langsam und konzentriert zwei der Stöckchen sinken lässt und auf den Boden legt. Die Hände der Klangweberin sinken in ihren Schoß. Nora nickt der Figur zu, befestigt auch den Stock, an dem deren Kopf steckt, richtet sich dann auf. Sie tritt nach vorne, blickt auf die Wiese hinunter, spricht direkt zum Publikum: «Wir sind vibrierende Klangwesen. Wir sind Lichtwesen. Daran sollen wir uns immer wieder erinnern. Wir können einander kräftigen oder zerstören. Wir haben die Wahl. Mein Wunsch für eine schönere Welt für uns alle ist, dass wir uns immer mehr unserer tiefen, der mit uns gemeinsam geborenen Liebe zuwenden. Es soll der Tag kommen, an dem jede von uns wieder spürt, wie sehr wir mit allen anderen und mit allem auf dieser Erde verbunden sind.»

Sie hält kurz inne, schaut über den Wald.

 

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Was ist Literatur?

28.05.2025 Allgemein Keine Kommentare

 

 

Rose & Dunkelheit

 

 Kürzlich stellte mir jemand die Frage: «Was ist eigentlich Literatur?» Meine spontane Antwort war: «Das weiss ich nicht!» Im Austausch mit anderen Menschen, nach meinen Lesungen beispielsweise, klingen manche Gespräche oder Fragen nach, so auch nach jener Lesung von «Bonsai».

Als ich später allein war, dachte etwas in mir weiter: «Literatur – das ist doch mittlerweile nicht mehr als eine Reihe von Produkten für den engen und schnelllebigen Literatur-Markt. Aber: Gehen die vielen Bücher der letzten hundert Jahre nicht alle auf unsere tiefen Wünsche zurück, unser Leben zu erzählen, uns dabei zu verorten und zu versichern?» Dann kamen Zweifel: «Wer für diesen Literatur-Markt schreibt, macht Literatur, oder ist da nicht noch mehr? Wird damit nicht unsere gemeinsame Kultur verändert, immer wieder umgeschrieben – oder eben auch nicht? Haben die einfachen Narrative von Gut und Böse gesiegt?»

«Mit dem Herzen schreiben ist mir wichtig – aber das reicht noch nicht für Literatur.»

«Je einfacher eine Geschichte erzählt wird, um so mainstreammässiger ist sie. Wenn eine Geschichte sich weigert, einem klaren Kurs zu folgen, wird es schon Arthouse und es gibt wahrscheinlich weniger Besucher. Und wenn sie määandert, episodenhaft erzählt wird, dann sind die Besucher schnell im dreistelligen Bereich», sagte Dorris Dörrie in einem Interview in DIE ZEIT Nr. 20/15. Mai 2025. Auch wenn sich die deutsche Autorin und Filmemacherin hier beim Erzählen eher auf das Filmemachen bezieht, so ist es doch beim Schreiben einer Geschichte ganz ähnlich, auch was die vorhersehbare Erfolgskurve auf dem Literatur-Markt betrifft.

Wer auf diesem Markt erfolgreich verkaufen will, also auch rezensiert und gelesen werden will, folgt, zumindest bisher, am besten einer momentan gut nachvollziehbaren Art des Erzählens. Klar ersichtlich ist das  in den Computerprogrammen, mit denen seit Jahren Bestseller-Krimis geschrieben werden. Ist das dann auch Literatur?

Es ist erst seit relativ kurzer Zeit, dass wir Menschen Literatur (in deutscher Sprache) haben. Erste Aufzeichnungen epischer Heldenlieder in Versform im deutschen Sprachraum gab es circa im neunten Jahrhundert n.Ch., am Hof Karls des Grossen. In Wikipedia bin ich auf die sogenannten «Merseburger Zaubersprüche» gestossen, die in einem Gebetsbuch versteckt im 19. Jahrhundert in einer Kirche gefunden worden waren. Sie sind Hinweis darauf, wie viel uns an «Literatur» verloren gegangen ist, das nicht-Erwünschte, etwa das «Heidnische» und das nicht in Bibliotheken gesammelte.

Wenige hundert Jahre erst kann ein Grossteil der Europäer lesen und schreiben. Kurz im Vergleich zu der Million Jahren unserer Menschen-Existenz lebt diese «Literatur». Jedoch: Erzählen, singen, die Welt neu erschaffen, etwas mitteilen. Wie lange machen wir Menschen das schon?

Ein Kapitel in meinem kürzlich erschienenen Roman «Freundschaft Genossin» beschäftigt sich mit verlorenen Liedern, Jagdmagie und Tänzen – und mit dem unsichtbaren Aspekt des Erzählens. Es beginnt auf Seite 94, ist Noras Beitrag zum ‘Lebenden Theater’ und heisst: «Unsichtbares Weben».

 

Ich möchte dieses ungewöhnliche Buch allen empfehlen, die ungezähmte «Literatur» erleben wollen. Es ist mir sehr bewusst, was ich beim Schreiben meiner Bücher mache.

Freundschaft und andere Wörter

22.08.2024 Allgemein, Literatur Keine Kommentare

 

Ohne ihre Leser*Innen ist Freundschaft Genossin! eine abstrakte Skulptur aus Wörtern und Leerschlägen. Sie liegt fest in einem Objekt, dem Buch.

Wenn niemand dieses Buch aufschlägt und zu lesen beginnt, ist diese Klang-Skulptur verschwunden, sind die Satzzeichen ohne Bedeutung. Das Erzählte bleibt stumm, ein lebloser Traum, gedruckt auf Papier. Erst durch das Lesen entsteht das Leben des Buches, die Bedeutung der Zeichen.

Mein neues Buch soll gelesen werden! Es ist eine Liebeserklärung an die Welten-Träumer dieser Erde. Jede Erzählung, auch diese, ist ein Gebilde aus Ideen, Ängsten, Sehnsucht, Emotionen, Kritik und heftigen Utopien, verwoben mit spiegelgleicher Realität.

Während das neue Buch seine Wege in die Welt findet und der Sommer langsam vergeht, hole ich Bücher aus einem Regal in meinem Büro, lege sie auf den Schreibtisch, sortiere. Welche Bücher von denen, die meine Arbeit an Freundschaft! beeinflusst haben, stelle ich ins Regal zurück? Welche bringe ich weg ins Bücherbrocki?

Weiter unten sind Abbilder einiger der Bücher, die mich beim Schreiben von Freundschaft! besonders genährt haben und die bleiben. Andere werden bleiben, weil ich sie schon lange besitze und sie Teil meines Lebens geworden sind.

 

 

 

Das Archiv

06.07.2024 Allgemein Keine Kommentare

 

 

 

Fotografiert habe ich diese  kunstvolle geschnitzte uralte Tür im Kathmandu-Tal in Nepal im Winter 2020. Hier symbolisiert sie den Zugang zu meinem BLOG-Archiv. Wenn Sie von hier aus weiter zurückblättern wollen, können sie noch mehr virtuelle Räume betreten. Zuerst kommen sie zu jenem Beitrag, in dem ich meine BLOG-Aktivität als vorübergehend beendet verabschiede.

Wenn Sie dahinter weiterlesen wollen, klicken sie  jeweils unterhalb des Beitrags auf Vorheriger Artikel. Sie finden ihren Weg durch alle Blog-Beiträge von 2022 bis 2015. Irgendwann erreichen Sie das Ende des Archivs, den ersten Artikel.

Fast alle Blog-Beiträge waren meiner Lehrtätigkeit oder dem künstlerischen Prozess des Schreibens und meiner kritischen Auseinandersetzung damit gewidmet.

Meine Blog-Aktivität ist hiermit wieder NEU eröffnet.

Neue Normalität

21.02.2022 Allgemein Keine Kommentare

 

Licht


Lange war Vieles unklar, wir lebten in Europa einen Ausnahmezustand, der innerhalb kürzester Zeit die bekannte Welt erfasst hatte. Nun verebbt die Omikron-Welle, in der Schweiz ist Maskentragen nicht mehr Pflicht. Wir tasten uns, einzeln und als Kollektiv etwas unsicher weiter. Was kommt jetzt? Keine Maske tragen als neue Normalität?

«Es soll nun endlich Normalität geben!», dieser eine Wunsch scheint im Moment Menschen jeden Alters zu vereinen. «Normalität» erscheint als ein sicherer Ort, wo viele Probleme wieder verschwunden sind. Werden sich in dieser «Normalität» alle Abgründe wieder schliessen, in die wir als Kollektiv, aber auch persönlich, hineingeschaut haben? Werden sich die Probleme, die wir als Menschheit in den letzten 500 Jahren geschaffen haben, von selbst lösen? Und wir in unserer Normalität weiter konsumieren? Oder werden wir auf «starke Männer» warten, die die Probleme aller lösen wollen, wie das schon vor circa 100 Jahren in Europa das letzte Mal geschah, siehe Mussolini, Hitler, Stalin.

Bei mir gibt es keinen Wunsch nach «Normalität». Ich habe mich selbst, mein direktes Umfeld, meine Lebensweise und meine Überzeugungen, während der letzten 24 Monate genau beobachtet. Ich war zu Beginn der Pandemie wieder neugierig auf Politik, verfolgte Pressekonferenzen, erinnerte mich an einen Bericht des ‚Club of Rome‘ aus den 1970er Jahren, las viel, hörte mir (anfangs noch) an, was die Freunde und Bekannten über diese Epidemie sagten. Erschreckend, wie viele sie verneinten. So als könnte man ein grosses Problem wegsprechen?

Ich habe aber auch den Sturm auf das Capitol in den USA in den Medien verfolgt, war wirklich verstört davon. Hält sich nicht fast jeder von uns für «normal»? Es waren «normale Bürger», die sich von einem Politiker so weit haben aufhetzen lassen, dass sie zu allem fähig schienen. Als ein Mob stürmten «ganz normale Bürger» eine Parlamentssitzung in den USA, überwältigt von Manipulation und Lügen. Wie wird eine Diktatur im 3. Jahrtausend aussehen? Und was hat der Konsum der relativ neuen sozialen Medien für einen Anteil an dieser Bodenlosigkeit, die ich auch persönlich in Gesprächen während der Pandemie oft erlebte? Grenzen zwischen richtig und falsch, menschlich und unmenschlich, Wahrheit und Lüge schienen zeitweise aufgelöst.

Wenn es «nach der Pandemie» für mich einen «neuen Alltag» geben kann, dann nur, indem ich radikaler als vorher lebe. Indem ich mich als schreibende Medizinfrau den Wunden zuwende, die ich, die Menschen und meine Umwelt haben. Weiser als bisher, liebevoller als bisher – aber auch unbeugsamer als bisher.

Die ersten zwei Teile der Trilogie «Der Pilgerweg heim», vor acht Jahren begonnen, wurde in einer anderen historischen Epoche unseres Anthropozäns geschrieben. Das kann ich jetzt sagen, mit etwas Abstand zu den Ereignissen der letzten zwei Jahre. Zwar sind im ersten Teil, «Der Pilgerweg heim», innere Transformation und radikale Einkehr das Thema, ebenso wie Heimat, Fremdsein und Altern das Thema, und «die Wildnis». Doch nun – ernüchtert von uns allen – ist mein «Kleines Welttheater am Grünen See», mein Marionettentheater, wo ich die Fäden ziehe und dazu singe, Vergangenheit. Es wird keine «Normalität am Grünen See» mehr geben.

Deshalb verändere ich in diesen Tagen und Wochen die Form von «Freundschaft Genossin». Nach einigem Zweifeln kommt die Freude! Ich spüre den naiven Enthusiasmus des Neubeginns, der mir ein wenig abhandengekommen war und den jeder kennt, der/die den eigenen Pfad für ein Projekt gefunden hat. Ich bewege mich auf meinem Pfad, meinem lebendigen, pulsierenden Pilgerweg, den ich immer wieder verliere, und auch wiederfinde, im Garten meines Schweizer Lebens. Draussen – irgendwo – die Wildnis.

 

Gefallene Engel, Porzellan, KK 2010

Schicht-Wechsel

02.04.2021 Allgemein Keine Kommentare

BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich einmal pro Monat über die Arbeit am Text berichten.

Die Arbeit am Text «Freundschaft Genossin» ist an einem spannenden Punkt angekommen. Einerseits schreibe ich bereits kurze Stücke für den Roman, von denen ich noch nicht weiss, wie ich sie später zu einem Ganzen verweben werde.

Zum anderen arbeite ich in meinem Büro an den unterhalb des Romans liegenden Schichten. Ich schreibe eine Schicht, wechsle zur nächsten, komme am folgenden Tag vielleicht zur ersten zurück. Die  Vorbereitungen für eine lange Erzählung oder einem Roman besteht für mich darin anfangs eine Basis für diese Geschichte zu erstellen, so etwas wie ein geschriebenes Fundament. Wie viele Schreibende habe ich zwar auch  – noch vom ersten Teil «Der Pilgerweg heim» – eine Beschreibung der einzelnen Charaktere, mit Alter, Eigenheiten, körperlichem Erscheinungsbild, bis hin zur Haarfarbe, Augenfarbe. Das gehört zur handwerklichen Vorarbeit. Diese Liste wird während des Schreibens erweitert, wenn neue Charaktere dazu kommen. Aus dieser ersten Exel-Datei beim ersten Teil der Trilogie hatte sich schon früh mein Wunsch nach weiterer Vorarbeit ergebe

Bei der Arbeit am Roman «Bonsai», dem zweiten Teil, schrieb ich zum Beispiel eine ausführliche Beschreibung der Kindheit von Antonin Maienfeld. Diese kurze Erzählung lag in ein Arven-Kästchen, ebenfalls Teil der Erzählung. Sie war bereit, vielleicht, im Verlauf der Entstehung von BONSAI aufgefunden zu werden, aber vielleicht auch nicht. Sie wurde nicht aufgefunden – der Protagonist John Maienfeld versucht aber selbst ein Kästchen aus Arven- oder Zirbenholz zu schnitzen.

Für «Freundschaft Genossin» habe ich von Anfang an mehrere Schichtungen, an denen ich arbeite. Ich habe die Qualität dieser Technik erkannt. Ich schreibe kurze Texte, von denen ich weiss, dass sie so nicht im späteren Roman auftauchen werden. Ich schreibe Zusammenfassungen von Büchern, die ich für das Thema recherchiere. Auch Bilder einer verstorbenen Künstlerfreundin habe ich für „Freundschaft Genossin“ im Atelier aufgehängt. Sie erinnern mich  an die Verletzlichkeit und die Stärke unserer inneren und äusseren Wildnis. Das ist ein Thema, das alle drei Teile der Trilogie gemeinsam haben.

Ich schrieb aber auch kürzlich einige kurze Geschichten über «Solidarität, Politik und Utopie» aus meinem Leben. Für mich ist es eine Aufwärmübung, von der vielleicht die eine oder andere Idee später in «Freundschaft Genossin» einfliessen wird.

Hier zum Beispiel folgt eine kurzer Textauszug, wie das Buch zu seinem Arbeits-Titel kam: «Freundschaft Genosse!» in der sonnigen Küche sitzt mein Mann am Frühstückstisch und blättert in einem Buch. Ohne aufzublicken antwortet er: «Freundschaft, Genossin!» – als sei das unser selbstverständlicher Gruss. Es ist der 1. Mai. Ich hatte in der Nacht von Wien geträumt.»

Eine weitere Schicht des Fundaments besteht aus meinem vor etwa zwei Jahren wieder aufgenommenes Studium des buddhistischen Grundlagenwerks «Bodhicharyavatara» (deutsch: «Der Pfad des Bodhisattva»). Aus dem Text – entstanden im buddhistischen Indien des 8. Jahrhunderts – nehme ich konkret die Originalverse und Kommentaren und schreibe sie auf . Es sind vor allem diejenigen, von denen ich glaube, dass ich sie als «Ideen» später in das Buch einfliessen lassen kann. Ich will dabei aber jede Spur von «Religiosität» auch in «Freundschaft Genossin» vermeiden. Der Text  ist ein zeitloses Werk über die menschliche Natur und wie wir unser Alltags-Leben verbessern können. Notizen für diese Schicht des geheimen Fundament mache ich mehrmals wöchentlich, mit Inspiration und Freude. Auch dafür habe ich ein Beispiel. Ich belasse die Zeilen im Englisch, ich habe keine befriedigende Version dieses extrem komplexen alten Sanskrit-Textes auf Deutsch gefunden.

8.173: And so it is that if I want contentment // I should never seek to please myself. // And likewise, if I wish to save myself, // I’ll always be the guardian of others.

8.174: To the extent this human form // Is cosseted and saved from hurt, // Just so, just so, to that degree, // It grows so sensitive and peevish.

8.175: For those who fall in such a state, // The earth itself and all it holds, // Are powerless to satisfy. // For who can give them all they grave?