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08.08.2022 Allgemein Keine Kommentare

 

Kürzlich schrieb ich für mich Zusammenfassungen der drei Teile der Trilogie: «Der Pilgerweg heim», «Bonsai» und vom unvollendeten Teil 3 «Freundschaft Genossin». Meine Gedanken zu diesem dritten Teil der Trilogie veröffentliche ich hier.

 

Neue Perspektiven: Die Fotos in diesem Beitrag sind Fotografien einer rosa Rosa, die ich nachts fotografierte. Ich machte die Aufnahmen, ohne auf die Verschlusszeit der Kamera zu achten. Die erscheinenden Bilder haben mir eine neue Sicht auf das Phänomen Bild geschenkt, auf das, was hinter der offenbaren Realität an Sichtungen für mich zu finden ist. Diese «Verschiebung von Wahrnehmung» hat mich inspiriert und neu mit meinen Kraftquellen in Verbindung gebracht.

Ich hatte anfangs nur eine vage Vorstellung des Themas dieses dritten Teils der Trilogie, Titel «Freundschaft Genossin», als ich im Winter 2020/2021 die Arbeit begonnen habe. Es sollte eine Sammlung von Erzählungen werden. «Das Kollektiv», «Wir Menschen gemeinsam», «Freundschaft und Solidarität» als Lebensthemen und Utopien, um die Gesellschaft vor ihrer vor hunderten  von Jahren begonnenen und nun rasend gewordenen Selbst-Zerstörung zu bewahren. Idee: Junge und Alte bündeln ihre Kräfte gemeinsam in einer kraftvollen Bewegung, für nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft.

Zu Beginn der Arbeit nahm ich Orte der Handlung und einige Figuren aus den Teilen 1 «Der Pilgerweg heim» und 2 «Bonsai» wieder hervor: Den Grünen See, das Seehotel, Adelheid und Franco, und John, das Boot, die Felswände. Am Grünen See wollte ich ein Gruppenereignis in Romanform inszenieren, eventuell ein Theaterstück im Roman? Junge KlimastreikerInnen, BiologInnen und die Alten vom Grünen See erzählen einander Geschichten von einer schöneren Welt, die ihre Herzen bereits kennen. Sie treffen sich dazu in einem alten Garten, den die Jungen neu anlegen, während draußen in der Welt, am anderen Seeufer, Pandemie und zum Teil Ausgangsbeschränkung herrscht.

Doch bald verstörte mich, die ich täglich die Zeitung, aber auch andere Medien als Quelle der Information benutzte, die Spaltung meiner Umgebung und scheinbar auch ganzer Länder in sich verhärtende Gruppen: Vax und No-Vax, Geheimbündler, Verschwörungsgeschichtenerzähler, Angstbessessene, gewaltbereite Fascho-Mysthiker, Surfer auf der Welle der Unsicherheit, um nur einen Teil des Spektrums zu nennen. Die westliche Welt zerfiel innerhalb kurzer Zeit in offizielle Gruppen von «Überlegenen versus Idioten» in allen Lagern. Der Tonfall wurde immer gewaltbereiter. Information, bisher ein Schlüssel zur Kenntnis von Tatsachen, mutierte zu einfacher Lüge, bewusste oder weniger bewusste. Immer öfter wurden nur einzelne Tortenstücke aus der sogenannter Realität ans Licht geholt und zu Tode kritisiert. Angeheizt von Falschmeldungen aus Trollfarmen und Bots, viel Ängstlichkeit, bewusst gesteuertem Informationschaos und allgemeiner Verwirrung wurde die Welt, vor allem die der Internetmedien, zu einer Art Vorhölle der Emotionen. Ein Krieg lag in der Luft. Anstatt gemeinschaftlicher Anstrengung zur Überwindung der multiplen Krisen, anstatt das unglaubliche, das unübersichtliche und möglicherweise nicht mehr zu rettende Weltgetriebe zu betrachten, zerfiel die Welt vor mir in eine Art geistige und emotionale Sektenkultur!

Die von mir begonnenen – und beinahe schon zu Ende erzählten – Geschichten vom Grünen See wirkten dagegen naiv, unrealistisch und hoffnungslos altmodisch. Liebe, was ist das?

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, und vor allem das Narrativ, mit welchem der Überfall gerechtfertigt wurde, brachte das Schreiben am dritten Band der Trilogie endgültig zum Stillstand. Meine Sprache hatte jeden Wert, jede Fähigkeit zur Wahrhaftigkeit verloren, zumindest vorübergehend. Deshalb legte ich «Freundschaft Genossin» zur Seite, zuerst nur abwartend. Nach einigen Monaten war klar, dass ich entweder etwas ganz anderes schreiben wollte – als Antwort auf das aktuelle Weltgeschehen, das mich sehr beschäftigte, oder gar nichts mehr. «Freundschaft Genossin» im Licht der neuen akuten Ereignisse gespiegelt erschien mir blauäugig und naiv.

Statt zu schreiben las ich sehr viele, teils philosophische  Bücher, und  begann immer mehr Zeit in meinem verwilderten Gemüsegarten zu verbringen – auf der Erde sitzend, oder stehend, Wachsen und Aufblühen und Verwelken betrachtend, manchmal auch fotografierend oder filmend. Ich ging über unser Grundstück, saß irgendwo im Heu, hörte den Grillen zu.

„Ich werde jetzt Blumenschreiberin“ schrieb ich eines Tages in mein Arbeitstagebuch, und: „Vielleicht werden ja zwischen den von mir geschriebenen Blumen, Gräsern und Bäumen einige meiner Figuren wieder auftauchen können – vielleicht aber auch nicht.“

Im Juni 2022 begann ich spontan mit einem neuen Versuch: Das Schreiben selbst, das Arbeitstagebuch, wurde zum Thema, und die Pflanzen, mit denen ich meinen Alltag teile. Die ersten Seiten schon brachten die Hoffnung, dass ich intuitiv navigierte, und dass im Schreiben vielleicht auch «die Liebe, die gütige Freundschaft zu allen Lebewesen» wieder auftauchen könnte.

«Freundschaft Genossin» als eine Synthese von politischem Statement, Poesie, Pflanzenwelten und Mutter Erde?

 

 

 

 

Bis gestern war Mohnblumenzeit

21.07.2022 Allgemein Keine Kommentare

Noch im BLOG-BEITRAG von Juni habe ich darüber geschrieben, dass der letzte Band der Trilogie bald fertiggeschrieben sein werde. (Unterhalb dieses Beitrags ist ein Link zum jeweils vorhergegangenen Beitrag.) Nicht ganz unerwartet wandelte der Text aber plötzlich Gestalt. Es war dramatisch. Jahrelange Arbeit schien mir plötzlich Sinn und Gestalt zu verlieren. Ich war erstaunt, erschöpft, verunsichert und auch enttäuscht. Im Laufe der Wochen danach, und als schwere Geburt wandelte sich der Text vollkommen. Hier ist ein Auszug der neuen Version des Romans, der bisher den Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» trug.

 

 

Eine tiefgehende Veränderung fand an einem Mohnblumentag statt: Umgeben von dunkelroten und orangefarbenen Blüten stand ich im unteren Teil des Gartens, stand auf der Erde, die mich und alle Menschen fraglos trägt. „Ich benötige keinen interstellaren Pass, um auf diesem Planeten Erde sein zu dürfen, keine Eignungs-Prüfung, keine Zulassung, kein Leumundszeugnis, keine Sprachkenntnisse. Diese Mutter Erde, unser wunderbarer blauer Planet, trägt mich fraglos, trägt uns alle grosszügig und ohne Unterscheidungen zwischen uns zu treffen.“ Ganz deutlich war die Erkenntnis in diesem Moment, und auch schmerzlich. Im Mohnblumenrot des Mittags stand ich  unter blauem Himmel, stand lange, setzte mich auf einen der Felstritte, sass, in der Stille.

Im Schreiben wie im Gärtnern war ich in eine Sackgasse geraten. Hatte es mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun? Mit der endlosen Pandemiegeschichte, mit den Trollfarmen im Internet, mit der mir neu erscheinenden Fragilität der Demokratie als Lebensform? War ich zornig, war ich traurig?

Vom Garten ging ich direkt ins Büro und schrieb einen Satz: «Ab heute bin ich Blumenschreiberin.»

Und:

«Ich will dem Garten keine Gärtnerin mehr sein!»

Ich stieg vom illusorischen Thron der Herrscherin des Gartens und des Schreibens herab – auf die Erde. Je mehr ich die Vorstellung, Gärtnerin eines Gartens zu sein aufgegeben habe, umso klarer erscheint seither im Garten das Gewebe der Welt, das glitzernde Spinnen-Netz der Kunst. Blut und Erde, Krieg und Frieden, Hunger und Rosenduft und Holz, Rucola und kleine Raupen, Lavendel, Kohlweisslinge, Nützlinge, Schädlinge, Metamorphosen, Weisheit, was noch?

Heute ist ein Gewitter aufgezogen. Blitze und Donner dauerten nur kurz, zogen weiter. Im Frühsommerregen sitze ich nun unter dem Vordach im Freien, verzaubert, im Augenblick. Als sähe ich alles zum ersten Mal. Die Felsplatten, die zwischen den Beeten durch den Garten führen, hatten anfangs dunkle Punkte von den ersten Regentropfen. Jetzt glänzen sie regennass, schimmern grünlich. Wo genau ist diese Wolke des heftigen Regens? Ist sie genau über mir, oder schon weitergezogen? Wie lange dauert es, bis der Regen nach seiner feuchten Geburt aus den Wolken bis auf dieses Stück Erde rauscht, herunter zu mir? Existiert Zeit für einen Regenschauer? Leben die die Regenwolken und ich in verschiedenen, übereinanderliegenden Welten?

Wassertropfen fallen klingend auf das Vordach. Im Garten fallen die letzten Mohnblüten unter dem Regen. Dunkelrot und nass liegen sie wie verstreute Seidenstücke.

Bis gestern war Mohnblumenzeit.