Karin Koppensteiner 07.05.2022 Allgemein Keine Kommentare
Inspiration gehört zur Kunst – aber auch in den Alltag
Wirtschaftskrise, Klimakrise, Krieg, Elend in Afrika, in Asien, einige Jahre Covid-Pandemie, Waldbrände, Überschwemmungen, noch ein Krieg, Klimakrise. Wir leben als Kollektiv in harten Zeiten, jeder von uns ist gefordert. Improvisieren, sich bescheiden, und sich, auch politisch, nicht mehr auszukennen ist für uns verwöhnte Mitteleuropäer neu. Verschärft wird die Situation seit wenigen Jahren noch durch selbsternannte «Welterklärer» in den sozialen Medien.
Nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Menschen, die ich kenne, fehlt es immer öfter an Inspiration. Ich fühle mich dann tagelang etwas «flügellahm». Der einzige Weg, den jede für sich persönlich aus den diversen Dilemmas finden kann, so sehe ich das, führt über Einfachheit, Klarheit, Herzensgüte, Kreativität – und Inspiration.
Eine Kursteilnehmende hat mich kürzlich während eines Workshops gefragt, wie es für mich ist, mit der Inspiration. Ob ich auch immer ein Notizheft bei mir führe, damit ich schnell alles aufschreiben kann, wenn die Inspiration auftaucht?
Ich wusste nicht so recht, was antworten. Ja, ich trage seit meiner Jugend meistens eine Art Notizbuch mit mir. Es ist ein kleines Heft, in welchem ich aber mittlerweile eher Einkaufslisten notiere, oder, beim Lesen unterwegs, Zitate aus Texten herausschreibe. Gelegentlich findet auch ein Gedicht oder ein besonderer Satz den Weg in das Heft für unterwegs.
Meine Antwort an diesem Tag fiel daher etwas dürr aus: die Kunst-Arbeit sei eben mein Beruf, da arbeite ich kontinuierlich, mit und ohne Inspiration. Und: „Man kann auch Tonaufnahmen mit dem Handy machen…“
Und die Inspiration? Ist sie wirklich nötig?
In Zeiten wie diesen scheint diese Frage fast überflüssig: Natürlich brauche ich Inspiration zum Leben! Sonst werden die Tage eine schale Angelegenheit, ein repetitives sich Einfügen in die Geschehnisse, die scheinbar von anderen diktiert werden.
Inspiration ist für mich auch eine Erfahrung von innerer Freiheit, ein Moment in welchem aus etwas, mit dem ich mich beschäftige, und für das ich keine Lösung finde, etwas Neues, Unerwartetes hervortaucht. Eine innere Weite stellt sich ein, neue Sichten, tiefes Durchatmen. Es ist ein klar erkennbares, wenn auch kurzes Ereignis. Kraft wird dadurch hervorgerufen, die sich in meiner Arbeit, in meinem Leben, ausbreitet. Danach fällt alles auf seinen Platz, wie von selbst. Geht es ums Schreiben, scheint die Geschichte sich selbst zu erzählen. Ich brauche nur zu schreiben. Menschen die mit dem Begriff «Flow», auch aus dem Sport, vertraut sind und solche Momente erlebt haben, wissen, wovon ich hier schreibe.
Ich will inspiriert sein und andere Wesen inspirieren, auch im Verlauf meines Alltags. Ich lächle, zum Beispiel. Auch in der Öffentlichkeit. Sicherlich hat meine tägliche buddhistische Praxis der letzten vier Jahrzehnte beigetragen, dass ich diese innere Weite hervorholen kann, die Freiheit, in meinem Alltag sanft aber bestimmt ja oder nein zu sagen.
Manchmal erscheinen inspirierte Momente beim Gehen oder in Gesprächen mit anderen Menschen. Beim Lesen kann ich Inspiration in Büchern finden, die mich berühren – oder sie erscheint in der Stille eines Zimmers an einem Winternachmittag. Sogar beim Kochen kann es diese Momente geben, wenn einige Zutaten, die gerade zur Hand sind, sich bereits in meiner Fantasie zu einem ungewöhnlichen Gericht kombinieren, und ich während des kreativen Zubereitens nur noch mit dem Geruchssinn die einzelnen Gewürze dazu aussuche – und es dann köstlich schmeckt.
Was benötige ich, um einen Zustand der Inspiration zu finden? Sicherlich vor allem eine entspannte Umgebung, innere Ruhe und auch ein Gefühl von Angenommen-sein in der Welt. Mich selbst annehmen, Selbstwert in dem, was ich gerade mache. Es gibt einige Orte, die ich aufsuchen kann, wenn mir die Inspiration für meine Arbeit ganz abhandengekommen ist: einen Wald, einen See, eine Stadt, ein schönes Museum, ein Museums-Café.
Vor einigen Tagen war ich an einem meiner Lieblingsorte in der Schweiz, dem Museum Rietberg in Zürich. Ich hatte gerade Zeit genug, um einige jener antiken Figuren zu besuchen, deren Betrachtung mich immer wieder berührt. Im Untergeschoss des Neubaus, in der ausgestellten Sammlung, ging ich zuerst zu den drei etwa fünfzig Zentimeter großen Tänzerinnen aus Terrakotta, ein Fund aus China. Vielleicht, weil es wirklich nur ein kurzer Besuch bei ihnen war, fielen mir diesmal die Gesichter und der Gesichtsausdruck jeder der Tänzerinnen besonders auf. Ich stand nahe bei ihren Gesichtern, durch eine Glasscheibe von ihnen getrennt.

Sie haben die Armbewegungen von Tanzenden, ihre Gesichter wirken nicht unbedingt han-chinesisch. „Die sind ja tieftraurig!“, dachte ich. Mein Herz öffnete sich beim Betrachten für einen Moment «aller Trauer». Es kam eine Welle der Zeit. Ich spürte den Gruß eines Keramikkünstlers – über mehr zwei Jahrtausende hinweg – spürte seine Trauer, erfühlte, wie er oder sie jedes dieser Gesichter mit einem eigenen Ausdruck zeitlosen Ernstes versah. Dieses berührt werden, und mich berühren lassen beim Betrachten asiatischer Tonskulpturen aus dem 3. Jhd. v.Chr. wirkt noch immer nach.
Ich sage: „Es war eine besondere Art der Inspiration.“ Sie wird, bei Gelegenheit, wenn ich an «Freundschaft Genossin» weiterschreibe, wieder hervorkommen und etwas in die Entstehung der Geschichte einbringen.
Was es sein wird, weiß ich noch nicht.
Doch ich freue mich darauf.
Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet.
Karin Koppensteiner 14.01.2021 Allgemein Keine Kommentare
Die BLOGBEITRÄGE über die «Kunst zu leben -Kurse» sind beendet. Ab Februar beginne ich mit einem BLOG-EXPERIMENT: Ich werde die Entstehung des nächsten Buches mehrmals monatlich in BLOG-BEITRÄGEN dokumentieren. Bevor ich mit diesem BLOG in eine neue Phase übertrete, möchte ich mir aber noch einiges von der Leber schreiben:

«Menschen-Liebe» als Motivation das Schwierige auszuhalten.
Elf Monate haben wir nun Pandemie-Alarm». Diese Pandemie immer noch von den wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Bedingungen, in denen sie entstanden ist, abgetrennt zu betrachten führt in Orientierungslosigkeit. Vorübergehende Orientierungslosigkeit und Unsicherheit auszuhalten, gehört zum Repertoire einer stabilen Psyche. Doch nun dauern die schwierigen Zeiten an, sind nicht mehr «eine Krise», sondern immer mehr «etwas Unbekanntes». Ich schaue mich um und nehme Angst, Unsicherheit, Schuldzuweisungen ohne Ende wahr, von Liebe ist nicht die Rede.
Wohin Aktionismus aufgrund von Orientierungslosigkeit und Existenzangst führt, wissen wir, wenn wir betrachten, was im 20. Jahrhundert zum zweiten Weltkrieg geführt hat.
Populistische Politiker nutzen jetzt, ebenso wie damals, die seit Jahren wachsende Orientierungslosigkeit und Ängstlichkeit ungebildeter oder wenig gebildeter, mutloser Menschen auf der ganzen Welt aus. Sündenböcke sind immer schnell gefunden, Verschwörungs-Theorien machen sich breit. Alternative Weltenmärchen werden gesponnen und ermutigen ihre Anhänger. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen in solch märchenhaften Fahrwassern die faschistischen Diktatoren Europas, einer nach dem anderen, an die Macht. Hinter ihnen, gut getarnt, machte die kapitalistische Wirtschaftselite gute Geschäfte. Im Krieg zuerst, und nach der Zerstörung des Krieges im Wiederaufbau großer Teile Europas, entstand die Idee eines Wunders: des „Wirtschaftswunders“, Basis der Mythen, alles Wirtschafts-Mythen, unserer neuen Zeit.
Die bereits im Berichten von Think-Tanks ab den 1970er Jahren vorausgesagte Entwicklung auf unserer Erdoberfläche ist eingetreten. Das Klima-Chaos, der vorausberechnete Anstieg der Meeresspiegel, die hemmungslose Überbevölkerung, die unbedachte Übernutzung der auf diesem Planeten natürlich vorhandenen Ressourcen.
Wir sind mitten in einer Pandemie namens Covid-19. Auch die Politiker, nicht nur die Wissenschaft und das Gesundheitswesen, sind überfordert. Jeder einzelne Mensch ist im Moment überfordert, das Kollektiv ist überfordert. Welche Geschichten vom Leben sollen wir einander erzählen? Was ist mit der Liebe, der Fürsorge, der Hingabe? Die erwünschte Sicherheit ist nicht mehr vorhanden.
Hier finde ich, sollte die Leserin dieses BLOGS innehalten und kurz überlegen: „Glaube ich, dass alles, was uns bedroht, individuell und als Gruppe, „kontrollierbar“ sein muss oder es je war?
Wichtige Begriffe in den Medienberichten sind seit Monaten „die Sterblichkeit“, sogar „Über-Sterblichkeit“, die bei den meisten Menschen Angst auslösen. Angst können wir in einer solchen Situation überhaupt nicht gebrauchen! „Die Sterblichkeit“ kommt mit dieser Virus-Krankheit in das Leben der Konsumgesellschaft, so als wären wir durch diesen Virus plötzlich und zum ersten Mal damit konfrontiert, dass jeder von uns sterblich ist, anfällig für Krankheit und Tod. Auch hier möchte ich die Leser dieses BLOG kurz dazu anregen, darüber nachzudenken, ob sie irgendjemanden kennen, der vor 150 Jahren geboren wurde und noch immer lebt?! Reich, arm, Könige, Nonnen, Filmstar oder Politiker, Bergbauern, Seefahrer, Juwelenhändler, Mörder, Einsiedler, gute Menschen, schlechte Menschen, alle sind bei ihrer Geburt mit einem gesegnet: der 1000% Gewissheit, dass sie sterben werden. Dieses unkontrollierbare Grundrecht, Teil unserer Geburt, untilgbarer Teil unseres Mensch-Seins ist es, den Zeitpunkt des eigenen Todes nicht zu kennen. Das aus dem Leben einer Gesellschaft kollektiv auszublenden ist bizarr. Doch es ist notwendig, denn Menschen die sich ihrer Sterblichkeit immer bewusst sind, werden ihr kostbares und begrenztes LEBEN wahrscheinlich nicht einfach vergeuden. Und wahrscheinlich auch nicht die kostbare Erde, auf der sie leben.
Verbirgt sich auch etwas noch Unbedachtes in dieser neuen Viruserkrankung? Trägt die Befürchtung von Politik und Gesellschaft „das Gesundheits-System“ könnte „an den Anschlag kommen“, trägt die Angst man müsste Menschen zu Hause oder in ihren Zimmern in Altersheimen sterben lassen, ein Geheimnis, eine noch unentdeckte Wahrheit über unsere momentane Situation in sich? Ich versuche, hier weiter zu forschen:
Wie viele Jahrhunderte unserer Menschheitsgeschichte sind die Regierungen europäischen Staaten bereits verantwortlich für die Gesundheit und Krankheit, für das Leben jedes Einzelnen? Ich will an dieser Stelle kurz an unsere gemeinsame Menschheitsgeschichte erinnern, die hunderttausende von Jahren, die bereits hinter uns liegen. Mit Kommunikation und im Austausch untereinander haben wir Menschen schon sehr lange auf der Erdoberfläche gelebt.
Zu Beginn der Industrialisierung, vor etwa 300 Jahren, waren es die Unternehmer, die für ihre Belegschaft kleine Häuser zur Verfügung stellten, damit diese vom Land in die Kleinstadt oder Stadt zur Lohnarbeit zogen. Mildtätige kirchliche Einrichtungen gab es für Notleidende und Kranke – sonst waren für die Not die Großfamilien zuständig.
Im Laufe der Entwicklung von Big Business haben sich die Unternehmen zu einem großen Teil der Verantwortung für ihre Mitarbeiter und die Mitwelt, in der sie Reichtum erwirtschaften, entledigt. Die Ausbeutung durch Kolonialismus will ich hier nur kurz erwähnen. Seit etwa 150 Jahren ist nun vor allem der Staat für Menschen und Mitwelt zuständig und verantwortlich. Nur so konnten die großen Betriebe ungestört von ethischen Überlegungen auf Gewinnmaximierung wirtschaften. Sie hatten ihre Verantwortung an die Politiker weitergereicht. Besonders krass wurde diese Entwicklung speziell Ende des 20. und im 21. Jahrhundert, wo der Aktienwert einer Firma für alle sichtbar und vollständig von der Verantwortung für Ethik, die Mitwelt und ihre Bewohner abgekoppelt wurde. Nun führt er, scheinbar getrennt von der Realwirtschaft, ein Eigenleben, das übrigens, wie das Virus auch, außerhalb unserer Kontrolle liegt, aber darüber wird nicht gesprochen.

Es scheint mir, dass wir alle gemeinsam, Wissenschaftler, Bauern, Politiker, Ärzte, Hedge-Fund Manager, Fahrrad-Boten, Firmendirektorinnen, Lehrerinnen, Kinder, Mitwelt, Tierwelt, gerade an die Grenzen unserer bekannten Möglichkeiten kommen und uns die Situation, in die unsere Gesellschaft und jeder Einzelne sich befindet, vorübergehend entgleitet. Es ist meine Entscheidung, ob ich mich in dieser Extrem-Situation entspanne und den Ort der Liebe in mir aufsuche, oder ob ich ins Schattenreich wahnwitziger Ideen absinke.
Wir haben keine Schöpfungsmythen für die moderne Welt in der wir heute leben. Da wir Menschen aber auch Schöpfungsmythen brauchen wird ein solcher Mythos immer, wenn im letzten Jahrzehnt alles zusammenzubrechen droht, wieder erzählt, und zwar von multinationalen Konzernen, Banken, Politikern, Medien: dass wiralle nur und ausschließlich von diesem momentanen westlichen Wirtschaftssystem profitieren können. Ist es in Gefahr, sind wir alle in Gefahr. Daher müssen wir es bis zur Selbstverleugnung unterstützen – echte Helden eben. Mitgefühl und Liebe sind für Weicheier, die nichts von der Welt verstehen. Wer diese Geschichte nicht miterzählt ist entweder Verräter oder naiver Hohlkopf. Wenn alle erkennen würden, dass dieser Mythos nicht für das Wohlbefinden von uns Menschen gemacht ist, dass wir uns seit geraumer Zeit in einer globalen Wirtschaftskrise befinden, hätte sich dieses Narrativ unseres Wohlstandes ohne Preis selbst ad absurdum geführt. Großbanken und Fluglinien erhalten in Europa immer wieder Milliarden an „Rettungsgeldern“, die sie nur sehr teilweise in den großen Steuer-Topf eingezahlt hatten, mit der Begründung „unser System würde sonst zerfallen und zu viele Arbeitsplätze verloren gehen“. Doch Widerspruch regt sich, regt sich schon lange.
Diejenigen, die von diesem Narrativ unserer Welt profitieren, könnten bald dastehen wie der nackte Kaiser im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.
Was wäre wenn wir unsere gegenwärtige Geschichte neu erzählten? Ich fange im Kleinen an, mit einigen wenigen Menschen. So wie ich es im «Pilgerweg heim» und in «Bonsai»versucht habe. Was ist, wenn wir alle unsere Geschichte neu erzählen? Der Sozial-Philosoph Charles Eisenstein hat in seinen Büchern vorgeschlagen, uns selbst eine neue Geschichte der Menschheit zu erzählen: Abstand zu nehmen von der alten Geschichte des Mangels, in der jeder versuchen muss, so viel wie möglich für sich zu ergattern.
Meine Aufgabe als Künstlerin sehe ich seit Jahrzehnten, und auch in meinem neuen Projekt «Freundschaft Genossin» darin, einfache Erzählungen einer utopischen Gesellschaft zu finden, des bewussten Miteinanders in einer liebevollen Welt, in der eigentlich für alle genug vorhanden ist – außer für die Unersättlichen.