ÜBER DAS SCHREIBEN
Wo ist die Wildnis im Wald?
Kleiner heller Staub weht um mein Gesicht.
Ich bin im Wald an einem jener Plätze, an dem ich schon oft Inspiration und Ruhe gefunden habe. Auf einer breiten Wurzel sitze ich, an eine alte Tanne gelehnt, bin einfach da, schweigend, meinen Gedanken nachfolgend, oder auch nicht. Der zweite Band der Trilogie „Der Pilgerweg heim“ hat unter anderem als Thema die Alpen, Natur und Wildnis. Meine langen Spaziergänge durch den Wald sollen mir helfen, das Thema richtig „anzugehen“.
Wieder fällt der weißliche Staub vor mir nieder, und noch einmal. Wie feine Schleier sinkt er durchs Morgenlicht. Was ist das? Ich stehe auf. In Augenhöhe finde ich längliche Löcher im Stamm des Baumes, an den gelehnt ich vor mich hin geträumt habe. Aus jedem der Löcher weht immer wieder eine Prise Staub hervor.Bei noch näherer Betrachtung finde ich schwarze Ameisen, die den Staub aus dem Baum werfen. Es sind Waldameisen bei einer Art von Arbeit, deren stumme Betrachtung mir eine unbekannte Welt öffnet und sie doch gleichzeitig verhüllt. Prise um Prise Holzstaub weht vor mir durch die kühle Morgenluft, sinkt nieder. Erst jetzt bemerke ich, dass neben der Tanne am Waldboden bereits ein Hügel dieses feinen Holzstaubes liegt. Lange stehe ich vor diesen geheimnisvollen Schlüssellöchern ins Innere des Baums. Betrachte die schwarzen, vom Holzstaub mehligen Beine, Köpfe und Leiber der Ameisen, die, durch meine Betrachtung unbeirrt, Stäubchen um Stäubchen aus dem Baum werfen. Sie kommen zum Ausgang der Höhlen und werfen ihre feinen Lasten ab, drehen sich um, verschwinden, andere kommen, werfen ihre Staublast ab, verschwinden sofort wieder. Sie machen keine Pause, sie schauen nicht verträumt hinaus in den Wald.
Ich glaube, sie bemerken meine Anwesenheit nicht, weil ich in einer anderen Welt lebe. In einer Nicht-Ameisenwelt, für sie unsichtbar. Für Momente habe ich Teil an der Wildnis des Waldes.
Genährt von ihrer Anwesenheit setze ich mich wieder auf die Wurzel, lehne mich an den Baumstamm und mir scheint fast, als könnte ich die Ameisen jetzt beim Graben tief im Stollen ihres Baumes hören. Langsam schwebt heller Staub durchs Morgenlicht, vorbei an meinem Gesicht, sinkt nieder, auf den Waldboden vor mir, den duftenden.
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02.09.2015