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Bis gestern war Mohnblumenzeit

21.07.2022 Allgemein Keine Kommentare

Noch im BLOG-BEITRAG von Juni habe ich darüber geschrieben, dass der letzte Band der Trilogie bald fertiggeschrieben sein werde. (Unterhalb dieses Beitrags ist ein Link zum jeweils vorhergegangenen Beitrag.) Nicht ganz unerwartet wandelte der Text aber plötzlich Gestalt. Es war dramatisch. Jahrelange Arbeit schien mir plötzlich Sinn und Gestalt zu verlieren. Ich war erstaunt, erschöpft, verunsichert und auch enttäuscht. Im Laufe der Wochen danach, und als schwere Geburt wandelte sich der Text vollkommen. Hier ist ein Auszug der neuen Version des Romans, der bisher den Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» trug.

 

 

Eine tiefgehende Veränderung fand an einem Mohnblumentag statt: Umgeben von dunkelroten und orangefarbenen Blüten stand ich im unteren Teil des Gartens, stand auf der Erde, die mich und alle Menschen fraglos trägt. „Ich benötige keinen interstellaren Pass, um auf diesem Planeten Erde sein zu dürfen, keine Eignungs-Prüfung, keine Zulassung, kein Leumundszeugnis, keine Sprachkenntnisse. Diese Mutter Erde, unser wunderbarer blauer Planet, trägt mich fraglos, trägt uns alle grosszügig und ohne Unterscheidungen zwischen uns zu treffen.“ Ganz deutlich war die Erkenntnis in diesem Moment, und auch schmerzlich. Im Mohnblumenrot des Mittags stand ich  unter blauem Himmel, stand lange, setzte mich auf einen der Felstritte, sass, in der Stille.

Im Schreiben wie im Gärtnern war ich in eine Sackgasse geraten. Hatte es mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun? Mit der endlosen Pandemiegeschichte, mit den Trollfarmen im Internet, mit der mir neu erscheinenden Fragilität der Demokratie als Lebensform? War ich zornig, war ich traurig?

Vom Garten ging ich direkt ins Büro und schrieb einen Satz: «Ab heute bin ich Blumenschreiberin.»

Und:

«Ich will dem Garten keine Gärtnerin mehr sein!»

Ich stieg vom illusorischen Thron der Herrscherin des Gartens und des Schreibens herab – auf die Erde. Je mehr ich die Vorstellung, Gärtnerin eines Gartens zu sein aufgegeben habe, umso klarer erscheint seither im Garten das Gewebe der Welt, das glitzernde Spinnen-Netz der Kunst. Blut und Erde, Krieg und Frieden, Hunger und Rosenduft und Holz, Rucola und kleine Raupen, Lavendel, Kohlweisslinge, Nützlinge, Schädlinge, Metamorphosen, Weisheit, was noch?

Heute ist ein Gewitter aufgezogen. Blitze und Donner dauerten nur kurz, zogen weiter. Im Frühsommerregen sitze ich nun unter dem Vordach im Freien, verzaubert, im Augenblick. Als sähe ich alles zum ersten Mal. Die Felsplatten, die zwischen den Beeten durch den Garten führen, hatten anfangs dunkle Punkte von den ersten Regentropfen. Jetzt glänzen sie regennass, schimmern grünlich. Wo genau ist diese Wolke des heftigen Regens? Ist sie genau über mir, oder schon weitergezogen? Wie lange dauert es, bis der Regen nach seiner feuchten Geburt aus den Wolken bis auf dieses Stück Erde rauscht, herunter zu mir? Existiert Zeit für einen Regenschauer? Leben die die Regenwolken und ich in verschiedenen, übereinanderliegenden Welten?

Wassertropfen fallen klingend auf das Vordach. Im Garten fallen die letzten Mohnblüten unter dem Regen. Dunkelrot und nass liegen sie wie verstreute Seidenstücke.

Bis gestern war Mohnblumenzeit.

21.07.2022

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